Passo San Marco (Nord-Lombardei)


p r o l o g

Kennt ihr das "restless leg syndrome"? Wer es wirklich hat (wie ich selten mal) findet es nicht lustig. Aber es gibt das ja auch virtuell: Novemberwetter, nix los, öfter irgendwo in der Nähe gewesen, da muss doch was sein, also Google Earth angeschmissen und rastlos als virtueller Adler über die Berge geflogen... Und aus 1000m Höhe eine winzige Strasse entdeckt, das missing link. Das war vor über einem Jahr...

Die Lombardei ist das nördlich von Bergamo ansteigende Berggebiet, das dann abrupt vom Veltlin (Valtellina) begrenzt wird. Der Absturz ins Veltlin ist heftig - es gibt dramatisch weniger Pässe vom Veltlin nach Süden als Talstrassen von Bergamo aus fächerförmig nach Norden. Der Passo dell'Aprica kurz nach Tirano (talabwärts) ist der bekanntere, der Passo San Marco deutlich weiter unten von Morbend (Morbegno) ausgehend ist recht unbekannt. Er ist ein Nord-/Südpass, und da die Alpen immer als Ganzes "ansaugen" (wie jeder Colli di San Fermo-Besucher weiss) ein vermutlicher Garant für unvergessliche Flüge, vor allem am Grat am Pass selber...


r e a l i z a t i o n

8°° - der Flugkollege (und Taxipilot) ist bei seiner Partnerin im Unterland "hängengeblieben", alles zu viel Stress. Also das ausgewählte Arsenal ins eigene Auto geworfen; 150cm und 1,3kg für die Hangkante (Sunbird von rcrcm), 300cm und 1,5kg als Mädchen für alles (Ventus von Baudis) und falls es sich ergibt noch einen Graupner-Oldie: DG-300 mit 2,3m von 1990 oder so. Wetterradar sagt voraus, dass gegen 10°° ein schweres Unwetter nördlich des Zielgebietes vom Tessin Richtung Engadin zieht. Danach: blanke Freude. In der Tat erwischt mich dieses Viech südlich des Berninapasses noch heftig, aber danach wird es stetig schöner, Freude kommt langsam immer stärker auf.


t h e r e . . .

Also die Passtrasse zum Passo San Marco ist ein Traum und gehört zum schönsten was die Alpen hier so hergeben...


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nach etwa einem Drittel Blick zurück auf das Veltlin in der Ferne


Später mehr dazu. Allerdings mag man beim Hochfahren auf der völlig leeren Strasse seinen Augen kaum glauben wo es hingehen soll: Soo hoch - und alles ist am Ende völlig steinig, vollkommen ungeeignet für Modellflug. Keine Angst: Staulage regnet sich auf den Südhängen aus, und die sehen ganz anders aus!
Die in Google Earth gespotteten Flugstellen gehen gar nicht, viel zu steil. DS-Piloten hätten evtl. ihre Freude daran! Immerhin bläst mir am Pass heftiger Südwind entgegen, ich habe also noch nicht verloren. Ich gucke nach Süden, denn da ist ja auch ein refugio das als Einkehr nach dem Flug geplant war:


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Ich liebe den jungfräulichen Blick auf ein Fluggebiet!! Es ist wie frisch verliebt, oder wenigstens wie ein wenig verknallt. Das Gehirn arbeitet, wie soll es denn jetzt weitergehen? Da fällt doch dieser Grasrücken in Bildmitte auf. An tornante (Spitzkehre) 10 finden sich reichlich Parkplätze. Und mein erster Gedanke ist ganz rechts am Grassattel zu fliegen, weil der Wind dort vermutlich von unten her hochbläst, und landen kann man dann im hier sichtbaren Lee:


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Dieser angedachte Spot hat zwar mächtig Wind, gefällt mir aber irgendwie nicht:


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Also den Ventus aus dem Auto geholt und zum "Gipfel" des Grasrückens gegangen (10min). Perfekt. Fliegbar in alle Richtungen von O über S nach W.


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Blick nach W


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Blick nach S


Ausgerechnet durch einen "Kanal", der keinen Fehlwurf erlaubt, zieht es mächtig nach oben:


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ist aber schon irgendwie eine geile Stelle...


Egal, raus mit dem Teil:


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Allerdings hängen die Wolken durch das vormittägliche Gewitter ziemlich tief. Gelegentlich wird es etwas kälter, die Basis sinkt zwischendurch und zwingt mich gegen 13°° noch mal zur Landung.


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Ich darf es ja nicht sagen, dass ich langsam senil werde. Also die schöne Steigung entlang von Süden her hochgeflogen und mit Strömungsabriss in die Wiese gedonnert, nix passiert... Rückenwind, ich Dödel... Die beiden folgenden Landungen schön brav von Norden her, wie ein Traum.


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Die Sonne räumt langsam den Himmel frei. Die Jubelphase beginnt. Man kann gar nicht so schnell Höhe abbauen wie man wieder hochgeblasen wird. Der Südwestwind drückt ca. 100m südlich von mir offenbar einen Bart direkt an den Hang, es ist der Wahnsinn.


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Damit man sich "explosive Thermik" vorstellen kann: zwischen diesen beiden Bildern liegen 180 Sekunden:


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Um 14°° ist die berühmte Thermikpause. Fast windstill am Startplatz. Umorientieren. Wo sind die Bärte??? Irgendwie logisch: weiter draussen. Alles wird völlig ruhig, keine knackenden Turbulenzen mehr wie vorher, sondern gleiten, steigen, kurbeln, schweben. Stille. Nicht nur in der Luft, auch am Ohr. Kein Geräusch ausser Fliegensummen und Hummelbrummen. Kein Auto zu hören. Zeit vergessen.


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Nach über zwei Stunden Flugzeit langsam landen. Es werden für später heftige Gewitter vorhergesagt - bei den letzten waren einige Pässe in der Nähe nicht mehr passierbar. Ein letztes Erinnerungsbild:


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etwa 30 Minuten nach den beiden 180-sec-Bildern...


Endlich Zeit sich mal umzugucken. Hier der Blick nach Osten - um 13°° fiel man hier noch ins Bodenlose, inzwischen hatte der Wind voll auf Süd gedreht und man konnte auch dort wacker steigen. Ich liebe komplexe Fluggebiete, die man erst einmal erfliegen muss!


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Die Hochspannungsleitungen stören überhaupt nicht, ausser man ist seeehr tief...


Blick nach Norden zum Passo San Marco:


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Es gibt dort zwei Verpflegungsmöglichkeiten, weiter weg die Ca' (= Camanna = Hütte) di San Marco - nur Verpflegung (hauptsächlich Wanderer) - und vorne das Refugio di San Marco, mit Übernachtungsmöglichkeit, aber lärmig. Hauptklientel: Auto-Tagestouristen. Eine Nacht geht wohl, aber eine Woche kann ich mir kaum vorstellen.


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Pasta con Speck e Funghi Porcini (Steinpilzen), Mineralwasser, Cafè (Espresso) = 11€


Abschiedsblicke zurück:


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b a c k

Der Abschied fällt aber nicht so schwer, denn man kann ja noch ca. 1700 Höhenmeter ins Veltlin hinabschweben, freiwillig nicht zu schnell. Ein Cabrio wäre jetzt wirklich toll. Nächstes Jahr muss ich mir eines leihen.


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Das untere Veltlin Richtung Lago di Como

Das Bild zeigt wohl am besten, wie es einem bei der Abfahrt geht: flow...


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Bertram Radelow
© 2018